Vertriebsstimme von Dagmar Blume

Dagmar Blume

Head of Strategic Projects / Turnkey bei Alstom


Dagmar, erzähl doch mal...

Nachtwei: Frau Blume, nicht zuletzt durch Ihr Engagement im Präsidium des BdVM haben wir im Sommer eine wirklich sehr umfassende und spannende Berufsfeldstudie im Vertriebsmanagement durchführen können. In der Studie wurde bestätigt, dass Frauen im Vertrieb, speziell in Führungspositionen im Vertrieb, stark unterrepräsentiert sind. Wir wissen auf einer Studie vor zwei Jahren allerdings auch, dass die Verkaufsleistung der Frauen ebenso hoch wie die der Männer ist. Welche Hauptgründe sehen Sie vor dem Hintergrund Ihrer eigenen beruflichen Erfahrungen und der Erkenntnisse aus der Verbandsarbeit dafür, dass Frauen noch immer so selten im Vertrieb, speziell im Vertriebsmanagement anzutreffen sind?
Blume: Für den Vertrieb ist der Kunde König und wenn der Kunde ruft, steht der Vertrieb bereit, was in der Regel ein hohes Maß an Reisetätigkeit und Abendveranstaltungen mit sich bringt. Die Arbeitszeiten sind also weniger geregelt, was sich schwerer mit Familie verbinden lässt. Es gibt aber auch viele interessante anspruchsvolle Vertriebsinnendienst-Aufgaben, die geregeltere Arbeitszeiten ermöglichen. Für eine Führungsposition muss man sich allerdings seine Sporen direkt beim Kunden verdient haben. 
Ein eher unterbewusster Grund, die Vertriebsleitung eher einem Mann als einer Frau zu übergeben, liegt wohl auch noch in unserem gesellschaftlichen Wertesystem. Der Vertrieb hat die strategische Schlüsselrolle im Unternehmen. Ohne Aufträge kein Geschäft. Dafür will die Geschäftsleitung einen ‚Jäger‘. Dabei punkten Frauen häufig mit intellektueller und emotionaler Intelligenz, den Kunden lesen zu können sowie Organisationstalent, sich selbst, die Prozesse und ein Team von teilweise recht egozentrischen Verkäufern zu organisieren und zu führen. 

Warum Vertrieb? Das Geld allein kann es nicht sein.

Nachtwei: Als Psychologen befassen wir uns unter anderem mit dem Themenkreis Motivation. Nun ist, will man der Studienlage und Aussagen erfahrener Vertriebler glauben, der Belastungsgrad im Vertrieb nicht unerheblich. Viele Dienstreisen, unregelmäßige Arbeitszeiten, Stress bei Ausschreibungen etc. – es kommt viel zusammen, das letztlich bewältigt werden muss. Weshalb entscheiden sich Menschen Ihrer Erfahrung nach trotzdem für eine Tätigkeit im Vertrieb? Das Geld allein kann es ja nicht sein – oder vielleicht doch?
Blume: Es kommt darauf an, ob man die Belastung als negativen oder positiven Stress empfindet. Wenn der Belastung eine attraktive Belohnung folgt, nimmt man sie gerne wahr. Zum Glück sind wir Menschen ja ein bunter Strauß unterschiedlichster Charaktere. Manche bevorzugen eine klar strukturierte Arbeitsumgebung, andere brauchen hohe Freiheitsgrade. 
Vertrieb ist vorne – gestaltet – muss kreativ sein, Märkte und Menschen begreifen. Er ist am Puls des Marktes und nimmt veränderte Marktbedingungen frühzeitig wahr. Es ist ein Berufsfeld, in dem man sehr kreativ Geschäft gestalten kann und muss, um sein Unternehmen jetzt und in Zukunft erfolgreich zu machen. 
Viele Vertriebler sind extrovertierte Menschen, die es lieben, direkt mit Menschen zu arbeiten. Sie genießen es, der Star der Cocktail Party zu sein, ohne dabei ihr Ziel aus den Augen zu verlieren. Vertriebler wollen gewinnen. Sie lieben das Kribbeln der Verhandlung und den Kick des Gewinnens. Eine so unmittelbare Belohnung des Einsatzes hat man in wenigen Berufen. Vertrieb bietet also vielfältige Belohnungen jenseits des Geldes. 

Betriebliches Gesundheitsmanagement im Vertrieb - Standard oder Baustelle?

Nachtwei: Bleiben wir bei Belastungen. Ein Teilprojekt in unserem Forschungsbereich Vertriebspsychologie befasst sich mit Betrieblichem Gesundheitsmanagement im Vertrieb. Das sogenannte BGM ist ja zumindest in der Human Resources Community schon fast Standard. Wie steht es damit in Vertriebsorganisationen?
Blume: Eines der wichtigsten Themen des betrieblichen Gesundheitsmanagement im Vertrieb ist Arbeits- und Gesundheitsschutz, da der Vertrieb eine hohe Reisetätigkeit beinhaltet, zum Teil in exotische Länder. Sicherheitstrainings sind ein Muss. Viele Unternehmen bieten gesundheitliche Check-ups an, insbesondere bzgl. Schutzimpfungen. Auch während der Reisen wird der Vertrieb mit Notfall-Taschen für die erste Hilfe sowie ‚SOS‘ Karten ausgestattet, damit man im Ausland schnell die richtige medizinische Versorgung findet. 
Da der Vertrieb zeitlich flexibel auf Kunden reagieren können muss, sind flexible Arbeitszeiten und Home Office Tage weitestgehend Standard. Nicht zuletzt ist es enorm wichtig, wie Vertriebsleiter mit ihren Mitarbeiten sprechen, wenn ein wichtiger Deal verloren gegangen ist. Kein Vertriebler verliert gerne und macht sich von sich aus Stress. Wichtig ist Resümee zu ziehen, aus den Fehlern zu lernen und zu motivieren, dass ‚jetzt erst recht‘ der nächste Deal nach Hause gebracht wird. 

Vertrieb im Konzern - Besonderheiten und Unterschiede zum Mittelstand 

Nachtwei: Die Ergebnisse unserer Berufsfeldstudie hatten wir in den meisten Fällen gesondert für Mittelstand und Konzerne ausgewiesen. Denn es gab in vielen Bereichen doch relevante Unterschiede. Nun sind Sie selbst im Vertriebsmanagement eines sehr großen Konzerns tätig. Welche Besonderheiten bietet die „Konzernwelt“ beim Thema Vertrieb und Führung im Vertrieb? Beziehungsweise wo sehen Sie die größten Unterschiede zu mittelständischen Unternehmen?
Blume: Eine Konzernwelt muss eine andere Größenordnung an Mitarbeitern, Kunden, Ländern und Produkten bewältigen und braucht daher klare Strukturen, einheitliche Prozesse, mehr Reporting und strikte Governance. Vertriebsmanagement nimmt einen größeren Stellenwert ein und ist weniger direkt am Kunden. Mittelständische Unternehmen sind ob ihrer Größe überschaubarer und der Vertrieb kann mehr ‚hands on‘ arbeiten, nahe am Kunden sein und er hat schnellere, direktere Entscheidungswege als im Konzern. 
Für Konzerne ist es sinnvoll, spezialisiert Fachabteilungen zu haben, auf die der Vertrieb zugreift, z.B. eine Rechtsabteilung, Steuerabteilung, Compliance Officer, Angebotsmanagement oder Marketing. Der Vertrieb hat also viele Zuarbeiter, die er zum einen koordinieren muss, sich ansonsten aber voll auf den Kunden konzentrieren kann. In mittelständigen Unternehmen müssen Vertriebler breiter aufgestellt sein und viele dieser Expertisen selbst abdecken, haben dafür aber weniger internen Koordinationsaufwand und mehr Entscheidungskompetenz.

Der BdVM und die Forschung - eine erfolgreiche Verbindung

Nachtwei: Abschließend noch eine Frage zur Verbandsarbeit. Der BdVM hat seit seiner Gründung Forschungsaktivitäten unterstützt. Die Ergebnisse können sich sehen lassen, zumal sowohl in der BWL als auch Psychologie der Vertrieb als Forschungsfeld viel zu kurz kommt. Welche Themen oder Fragestellungen würden Sie persönlich und ggf. Ihre Kollegen im Verband in den nächsten zwei Jahren näher erforschen wollen?
Blume: Unser Verband arbeitet inhaltlich in Fachgruppen, also Think Tanks, in denen sich unsere Mitglieder branchenübergreifend zu Best Practices austauschen, diese gemeinsam weiterentwickeln und an alle Mitglieder weitergeben. Unsere Fachgruppen präsentieren ihre Expertise auch auf unserem jährlichen Vertriebsmanagement Kongress in Darmstadt am 30. Mai und 01. Juni 2017 (http://www.vertriebsmanagementkongress.de/). Unsere Themenschwerpunkte sind Kundenbeziehungsmanagement, Internationaler Vertrieb, Innovation, Digitaler Vertrieb, Mitarbeiterführung, Aus- und Weiterbildung, sowie Compliance und Kartellrecht. 
Mich persönlich interessiert insbesondere, wie man in einer zunehmend internationalen digitalisierten V.U.C.A.* Welt, Marktänderungen antizipieren kann, sein Unternehmen strategisch ausrichtet und den Vertrieb agil organisiert. Dabei liegt mir besonders am Herzen, wie man seine Mitarbeiter entwickeln und führen muss. Zum Beispiel sind viele erfahrene Verkäufer keine digital Natives und sehen das digitale CRM-Tool als unsicheren, transparenten, administrativen Fluch statt als Unterstützung, um besser beim Kunden sein zu können. Welche Profile, Kompetenzen und Fähigkeiten braucht der Vertriebler von morgen? Wie macht man sein Vertriebsteam zukunftsfähig, so dass der Spaß bleibt und wir auch in Zukunft den Kick des gewonnen Auftrages genießen können?

* V.U.C.A.  = volatility, uncertainty, complexity, ambiguity

Nachtwei: Frau Blume, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Die Fragen stellte Prof. Dr. Jens Nachtwei, Geschäftsführender Institutsdirektor des IQP, im Rahmen seiner Interviewreihe Köpfe, 5 Fragen an ... auf https://vertriebspsychologen.blogspot.de/.

Quelle: https://vertriebspsychologen.blogspot.com/2017/03/kopfe-5-fragen-dagmar-blume-bombardier.html​